Als Kind wollte ich alles mögliche werden: von Forscherin für Biologie zu Försterin, Karate-Kämpferin, Chemikerin, Erfinderin. Ich wollte auf jeden Fall mehr erfahren, erforschen und dabei meins machen.
Die Welt schien mir immer viel zu groß und voller so vieler Möglichkeiten, wie sollte ich mich da entscheiden?! Vermutlich ist das ein Grund, warum ich lange im Theater gearbeitet habe: als Schauspielerin und Tänzerin, Autorin und Regisseurin, Technikerin und am Bühnenbild. Kennst du das Lied „I want it all“ von Queen. Jepp, that’s me.
Mein Weg zur Coachin und movement meditation practitioner war also eher in Schlangenlinien, voller verführerischer Abfahrten, Entscheidungen, die ich dann wieder umentschied und vor allem: voller Erfahrungen.
Ich habe versucht, die wichtigsten Stationen herauszusuchen! Denn wie wird man denn somatische Bedürfniscoachin und movement meditation practitioner?!
1999 – Mit 14 meldete ich mich in einer Tanzschule an. So richtig mit Walzer und Tango! Denn ich spürte: nach meinen Jahren beim Karate und Judo dürfen nun neue Rhythmen meinen Körper begeistern! Und dass ich loslassen konnte. Auf der Tanzfläche folgte ich meinen Füßen, lernte, ihnen zu vertrauen. Allerdings merkte ich auch: das Formelle und Binäre engen mich zunehmend ein. Als ich gefragt wurde, ob ich Turnier tanzen möchte, sagte ich natürlich JA! Als ich erfuhr, dass ich dazu die Pfennig-Absatz-Schuhe tragen muss, sagte ich NEIN! Ich brach aus und lauschte auf das, was mein Körper tanzen will. Später sollte ich finden, was ich suchte – aber das dauerte noch einige Jahre.
2000 – Ich verliebte mich das erste Mal in ein Mädchen. Für mich kein großes Ding. Liebe ist Liebe, oder? Nicht ganz. Ich erlebte, was Homofeindlichkeit bedeutet, in der Schule musste ich mich in der Toilette für den Sportunterricht umziehen statt in der Umkleide. Mein Sinn für „meins“ wurde wach und ich lernte zu sortieren: wer ist wirklich mit mir befreundet? Was sind meine Werte für Feund:innenschaft? Wie möchte ich behandelt werden?
2003 – Manchmal werde ich gefragt: „Judith, wann hast du dich das erste Mal so richtig abgegrenzt?“ und ich sage dann: „Als ich zuhause rausflog.“. Kurz vor meinem Abi hatte ich einen Streit mit meiner Mutter, in dem sie mich rauswarf. Ich kannte das Hin- und Her: sie würde sich später entschuldigen, aber diesmal ging ich. Ich grenzte mich ab. Das war furchtbar verwirrend und doch so wichtig.
2004 – Ich wurde Teil eines freien Theaters meiner Heimatstadt und wusste damals nicht, dass ich 17 Jahre auf der Bühnen stehen werde. Ich begann als Regieassistentin, bis ich später das Theater leitete. Im Laufe dieser Jahre schlüpfte ich in über 30 Rollen, gestalte Tanzfestivals, schrieb meine eigenen Kindermusicals und Theaterstücke über Feminismus, mentale Gesundheit, über das anders sein und darüber, wie wichtig es ist, den eigenen Weg zu finden. Oft wurde ich in der Zeit gefragt: „Willst du dich nicht mal entscheiden? Schreiben oder tanzen? Technik oder Schauspielern?“ und für mich war und ist es eben diese Vielfalt, die mich erfüllt und mir zeigt: ich darf alles sein.
2007 – Waren es zuvor nur kleine Szenen, tanzte ich 2007 mein erstes Tanz-Theaterstück, zu dem ich die Texte selbst geschrieben hatte. Ich setzte mich darin mit meiner Depression und Angststörung auseinander, tanzte, wozu ich keine Worte fand. Ich begriff: mein Körper kommuniziert mit mir und zugleich kann ich mich mit ihm ausdrücken.

2013 – Ich wollte tiefer in dieses Gefühl. Die Verbindung herstellen. Also machte ich später meine Ausbildung zur Yogalehrerin, tauchte tief in die Philosophie ein, praktizierte täglich und verstand endlich, warum ich mich oft nicht entscheiden konnte: wir haben verschiedene Ebenen der Bedürfnisse! Körper, Geist, Seele, Energie… ich fiel in das Kaninchenloch und verstand, dass mich verschiedene Dinge auf verschiedenen Ebenen zufrieden machten und erfüllten. So ist das Schreiben zum Beispiel für meinen Mind wundervoll, um sich auszudrücken, Worte zu formulieren, sie wachsen zu lassen zu Geschichten und Gedichten. Das Tanzen ist für meine Seele wichtig, für die Verbindung zwischen ihr und meinem Körper. Wenn ich mich abgrenze sind es meine Emotionen, die Raum bekommen und zugleich noch mehr Raum schaffen für all das, was mir wirklich wichtig ist. Das ist für mich Fülle. abunDance.

2014 – Fortbildungen in verschiedenen Massagestilen und ihre Philosophien faszinierten mich. Ich wollte wissen: wie kann ich anderen Menschen dabei helfen, sich in ihrem Körper wohl zu fühlen? Wie kann ich sie unterstützen, die Verbindung zu ihrem Körper wieder herzustellen? Ich brachte das erste Mal die verschiedenen Ebenen der Bedürfnisse und Körpersignale zusammen. Denn wir sagen häufig: „Wenn der Körper die Notbremse zieht…“, dass er aber zuvor schon viele kleine und große Signale sendet, ignorieren wir dabei völlig. Ich wollte wissen: wie kommuniziert der Körper; für die Seele, die Emotionen, den Mind und den Spirit? Was passiert, wenn wir uns verbunden fühlen, mit uns und unserem Sinn? Und wie kann ich dafür mehr Raum im Leben schaffen?
2015 – Mein erstes Yogabuch erscheint! Und in meinen ersten 1:1 Begleitungen begriff ich: die eigene Körpersprache ist so unfassbar individuell! So unterschiedlich, wie auch unsere Körper sind. Auf dem Weg meiner eigenen Heilung probiere ich an mir aus: was fühlt sich gut an, was nicht? Stille Meditation macht mich zum Beispiel fertig! Ich lerne bewegte Meditationen kennen und verstehe, dass mein Nervensystem diese Bewegung liebt.
2018 – Schon lange träume ich von einem eigenen MiniCamper. In diesem Jahr traute ich mich: ich kaufte einen Kangoo, nannte ihn „die dicke Berta“ und baute ihn aus. Brauste davon, überstand meine Angst vor dem Alleinsein, eine erneute Phase der Panikattacken und fuhr mit meinem Hund Emma auf Festivals, nach Berlin, ins Wendland. Ich lernte, wie stark und autark ich sein kann, wie unabhängig. Ich schwamm nackt in Seen, saß am Lagerfeuer, schnitzte, tanzte ganze Nächte durch. So fühlte sich „lebendig“ für mich an. Die Angst sollte wiederkommen, aber für den Moment lernte ich eine Seite an mir kennen, die stets da ist.

2019 – Die letzten Jahre waren viel: ich pflegte meine Mutter bis zu ihrem Tod, probte in der Woche, am Wochenende Aufführungen, daneben machte ich das Community Management und gab Workshops für ein kleines Franchise in Berlin. Ich ignorierte nun selbst alle Warnzeichen meines Körpers bis ich schließlich einen Bandscheibenvorfall im Nacken und einen erneuten Ausbruch meiner Panik- und Angststörung erlebte. Meine Couch, das eigene Wohnzimmer und tägliches Üben, wieder rauszugehen bestimmten Wochen, gar Monate. Bis ich es schließlich schaffe, mich wieder in mir sicher zu fühlen. Dabei schrieb ich auf,
2021 – What a year! Holy s*it! In diesem Jahr darf ich erfahren, ob all das Yoga, Meditieren und „Hausaufgaben machen“ gefruchtet hat. Emma stirbt, 4 Wochen später mein Papa. Einen Tag, nach dem wir seine Beerdigung planten, stirbt auch der Hund meiner Verlobten. Alles, was ich gelernt hatte, durfte ich anwenden. Gefühle zulassen, durch den Körper fließen lassen, Abgrenzung von Menschen, die bei mir Trost suchten und völlig deplatzierte Nachrichten schrieben. Ich mache meine Ausbildung zur body temple dance faciliator, einer traumsensitiven Tanzmeditation und lasse das neue Wissen in meine 1:1 Coachings einfließen.
2021 – Im gleichen Jahr reflektiere ich alles. Was ist mir wichtig? Auf allen Ebenen meiner Bedürfnisse, entscheide mich für mich und ziehe klare Grenzen. Und ziehe mit meiner Liebsten in die Vulkaneifel. Denn wir wissen: in der Natur geht es uns sanft. Frei. Wir atmen auf.
Heute: What a ride. Ich wohne in der Vulkaneifel, in unserem Garten wachsen gemütlich die Möhren und Radieschen vor sich hin. Morgens und nachmittags gebe ich Onlinecoachings, aberds body temple dance sessions. Mein Herz fühlt sich leicht und frei an, wenn ich daran denkt, wie holprig der Weg war und wie unfassbar glücklich ich heute bin. Die Ängste sind noch da, immer mal wieder, und zugleich fühle ich mich sicher in meinem Körper. Es darf beides da sein. Ich darf beides sein: ängstlich und wild. Völlig autark und super glücklich in einer engen und innigen Beziehung. Ich träume mich nach vorn und atme das Jetzt.
Liebe Judith
Ich bin tief berührt und fühle mich sehr geehrt,dass du mich so tief in dein Leben blicken lässt 🙏 Danke für dich und das,was du durch abunDance mir geschenkt hast.
Liebste Grüße vom brausenden Meer am Bretonischen Strand …
Liebe Andrea, danke, dass du Teil von abunDance warst und immer sein wirst!
Das klingt so wundervoll. Diese Grüße nehme ich in mein Herz, während wir hier in Bochum sind. Merci
Wow liebe Judith! Das ist wirklich ein bewegtes Leben. Vielen Dank das du dies hier mit uns teilst. Ich finde es sehr spannend, das wir auf sehr unterschiedlichen Wegen an einem Ähnlichen „Ziel“ angekommen sind. Auch ich berühre Menschen ganzheitlich sowohl mit meinen Händen als auch mit Hilfe des Tanzes. Ich übe mich gerade darin meine eigenen Gefühle und Erfahrungen dabei mitzuteilen. Herzliche Grüße Martina
Danke, liebe Martina, für dein Teilen!