Die Kunst, verletzlich zu sein

Jeder von uns wurde schon einmal verletzt. Oder zweimal. Oder auch öfter. Das Gefühl, dass einem das Herz gebrochen wird, ist nur schwer zu ertragen. Dabei muss es nicht unbedingt um eine Partnerschaft gehen. Auch im Job versuchen wir irgendwann unantastbar zu werden. Denn Verletzlichkeit bedeutet für viele von uns, dass wir angreifbar werden. Abgewertet werden können. Kritisiert. Und besonders wenn wir uns auf den Weg machen, aus unserer Komfortzone heraus zu kommen und unsere Träume zu verfolgen, begegnet uns oft Gegenwind. Wie du es schafft, trotzdem verletzlich zu bleiben und warum das so wichtig ist, darum geht es in diesem Artikel.

Das Grundbedürfnis der Verbundenheit

Gehen wir nochmal zurück zum Anfang. Es gab irgendwann einen Moment, an dem wir das erste Mal bewusst verletzt worden sind. Von den Eltern, von der ersten großen Liebe. Es gab einen Schmerz, tief in der Brust und neben dem Gefühl, dass einem die Luft wegbleibt, kommt noch ein zweites, ganz leises Gefühl: Scham. Mir ging es zumindest lange so. Denn eine emotionale Verletzung fühlt sich an, als würde man ein Stück weggeschoben werden. Von einem anderen Menschen. Etwas steht dazwischen oder wird dazwischen gebracht und die Verbundenheit zwischen einem selbst und der anderen Person bricht ab. Emotionen wie Enttäuschung und sogar Existenzängste mischen sich noch dazu und es entsteht ein Cocktail, der uns den Boden unter den Füßen wegzieht. Doch hinter all dem steht das Grundbedürfnis der Verbundenheit. Menschen sind emotionale Wesen, die Zuneigung, Zärtlichkeit und auch Bestätigung brauchen. Liebe. Das Gefühl der Zugehörigkeit. Doch wenn uns ein anderer Mensch ablehnt, kritisiert oder sogar abwertet, setzen wir es damit gleich, dass etwas an uns nicht stimmt. Wir selbst oder andere suggerieren uns einen Fehler an unserer Person – und was gibt es schlimmeres? Nicht unser Tun, sondern unser Sein wird dabei in Frage gestellt. Nicht „das hast du nicht zu meiner Zufriedenheit gemacht“, sondern „du bist nicht zufriedenstellend“. Das sind zwei sehr unterschiedliche Aussagen und treffen einen auf unterschiedlichen Ebenen. Sobald unser Ich angegriffen wird, fühlen wir uns in unserer Essenz geschwächt. Ich merke, dass mir in solchen Momenten die Luft wegbleibt. Mein Herz beginnt zu rasen und der Boden schwankt unter mir. „Ich bin nicht gut genug“ oder „etwas ist an mir falsch“ sind die größten Energielöcher, die größten Lügen, die wir uns selbst erzählen können. Und das schlimmste, was wir uns von anderen annehmen können.

Unangreifbar aber einsam

Nun wäre die logische Schlussfolgerung: ich mache mich unangreifbar. Panzer drum. Muschel zu. Ende. Eine Mauer hochziehen, wie man es schon so oft gehört hat. Doch es ist genau die falsche Richtung. Wir sehnen uns nach Verbundenheit, wie soll das in unserer Muschel gehen? Hinter einer Mauer isoliert zu sein bedeutet vielleicht, nicht verletzbar zu sein, aber wir nehmen uns auch die Chance, Verbundenheit zu spüren. Einsamkeit ist einer der schlimmsten Volkskrankheiten der heutigen Zeit. Denn wenn wir uns zurück ziehen, sind nicht nur wir allein. Alle hocken in ihren sicheren vier Wänden, ein bisschen verwelkt, ein bisschen müde, aber ein illusorisches Gefühl der Sicherheit umgibt einen in dieser grauen Blase. Isolation ist keine Stärke. Menschen werden in Isolationshaft gebracht, wenn sie das maximale Strafmaß erhalten. Was zum Himmel sollst du angestellt haben, dass du dich selbst in diese Isolationshaft steckst? Das Gefühl der Scham versteckt sich hinter dem Bedürfnis, sich selbst zurückzuziehen. Nicht nur der Wunsch, nicht mehr verletzt zu werden und sich daher selbst zu schützen. Es ist vollkommen verständlich, eine Art Selbstschutz zu entwickeln. Die meisten Menschen verstricken sich allerdings in ihrem eigenen Abwehrsystem aus Isolation, Verhaltensmustern und dem Unterdrücken von Emotionen. Denn die Scham, anderen etwas zeigen zu müssen, was jemand mal abgelehnt hat, hält uns zurück zu glauben, dass wir in all unseren Facetten liebenswert sind. 

Verbunden in der Verletzlichkeit

Die gute Nachricht ist: alle sind verletzlich. Du. Ich. Dein Nachbar. Die komische Tante, die du nicht magst. Dein*e Partner*in. Sobald du das verinnerlicht hast, kannst du dich verbunden fühlen und Mitgefühl empfinden. Für die anderen und vor allem für dich selbst. Mitgefühl bedeutet nicht, den anderen tipptopp finden zu müssen. Es beutetet auch nicht, anderen den Freifahrtschein zu geben, auf deinen Gefühlen herum zu trampeln. Es bedeutet mit dem anderen zu fühlen und zu verstehen, dass jeder sein Päckchen aus Scham, Angst, Schmerz und Eigenarten mit sich trägt. Und aus diesem Mix heraus handeln wir oftmals.

Was wir dagegen tun können? Aus der Liebe heraus handeln. Es gibt nichts, das du verstecken müsstest. Nichts, wofür du dich schämen müsstest. Du hast einen Fehler gemacht? Who cares? Du bist nicht geboren, um keine Fehler zu machen. Sei mutig, nicht perfekt zu sein. Du wurdest abgelehnt, weil sich dein*e Expartner*in für jemand anderen entschieden hat? Das ist schmerzhaft, aber das bedeutet nicht, dass du nicht wunderbar bist. Für jemand anderen bist du perfekt, so wie du bist. Ich finde dich perfekt. Ganz wunderbar. 

Hör auf, dich selbst zu sabotieren

Seit ich angefangen habe, Yoga zu unterrichten und besonders, seit ich diesen Blog gestartet habe, merke ich: an guten Tagen bin ich im Flow. Mir geht es gut, ich schlafe vielleicht wenig, aber nur, weil ich es nicht abwarten kann, weiter zu schreiben. Oder zu unterrichten. Und dann, es wirkt wie aus dem nichts: das Tief. Ich rutsche hinein in die Selbstzweifel. „Das ist nicht gut genug“, „das wird doch nichts“, „bald stehst du allein da“, „du bist nicht besonders genug“…und so weiter. Selbstzweifel bringen einen in eine Abwärtsspirale. Verletzlich sein bedeutet nicht, dich selbst schlecht zu machen. Dich zu limitieren. Es bedeutet, auf dem Weg, deine Träume und authentisches Ich zu leben, deine alten Verletzungen zu heilen. Immer und immer wieder offen zu bleiben und hinzuschauen, welche sabotierenden Selbst-Aussagen dich herunterziehen.

Zeige dich, wie du bist, denn genau so bist du einzigartig und wundervoll.

Verletzlich deine eigene Gefühle wahrnehmen

Dadurch, dass du dir erlaubst, du zu sein und dich verletzlich zu zeigen, erlaubst du deinen Gefühlen, da zu sein. Du nimmst sie bewusster und liebevoller wahr, weil du keine Angst oder Scham mehr davor hast, sie zu zeigen. Warum es so wichtig ist, sich seine eigenen Gefühle zuzugestehen, sie anzusehen und vor allem anzunehmen, darüber schreibe ich im nächsten Blogbeitrag!

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